Hier gibt es Lesestoff
Als letzter wanke ich spät in der Nacht in meine 4-Mann-Kajüte, wo alles friedlich schläft. Um niemanden zu wecken, tappe ich im Dunkeln zu meiner Koje – rumms, das war die Bettecke. Der ältere Spanier, der schon vorher umsichtig die Bettplätze in der Kajüte verteilte, schaltet wortlos seine Kojenlampe ein und weist ohne sich umzudrehen auf meine. Der wortlose Hinweis wird verstanden und ich lasse mich vom leichten Seegang in den Schlaf schaukeln.
Der sonnige Morgen findet mich als einen der ersten beim Frühstück. Gleich darauf suche ich mir mein Plätzchen für den Tag auf dem Schiff und werde auf dem Pooldeck fündig. Die bereit stehenden Liegen bieten die beste Gelegenheit, den Tag mit Lesen, Musik hören, baden und Leute beobachten zu verbringen. Obwohl es draußen noch frisch ist, sorgt das noch geschlossene Dach für wohlige Wärme. Später strömt durch das geöffnete Dach frische Meeresluft, die Sonne brennt bald heiß auf die Passagiere, die keinen Schattenplatz gewählt haben.
Dieser Mußetag auf dem Schiff ist ganz nach meinem Geschmack. Die Stimmung ist angenehm träge, fast alle sind entspannt und geben sich dem gleichmäßigen, leichten Auf und Ab des endlosen Meeres hin. 1400 Kilometer werden wir von Cadiz nach Teneriffa zurücklegen. Mit der Musik aus dem Headset in den Ohren betrachte ich das Schiffsleben. Einige jüngere Männer verteilen sich gleichmäßig um die offensichtlich allein reisende junge Frau am Pool und riskieren Blick. Das Paar auf dem Weg nach Gran Canaria brät in der Sonne. Mitreisende Kinder erobern den Pool und werden den ganzen Tag dort fröhlich herumtollen. Wer durstig wird, versorgt sich zwischendurch an der Bar.
Die Ansage zum Mittagessen unterbricht jäh die Trägheit, Leben kommt auf. Ein Teil der Crew versammelt sich an der Poolbar und nimmt den Mittagsdrink ein. Am Nachmittag wandelt sich die Stimmung nach und nach. Man spürt die aufkommende Unruhe. Werden wir bald ankommen? Die eben noch treibenden Gedanken der Reisenden wenden sich dem Ziel zu. Das verlangt nach Aktivität, die scharrenden Füße wandern durch’s Schiff.
Ich sammle ein paar Fotos aus dem Schiffsinneren. An der Rezeption frage ich die beiden Crewmitglieder, ob ich sie fotografieren darf. Der Uniformierte meint, dass er sich gern mit mir zusammen fotografieren lässt, aber nur wenn ich ein T-Shirt anziehe. Um zu diesem Foto zu kommen, laufe ich durch’s halbe Schiff und ziehe mir was über. Jetzt ist das Eis gebrochen. Er bewundert mein Smartphone, wir kommen ins Gespräch und er erklärt mir seine Schulterstreifen. Der Schiffsarzt also, der zum Glück wenig Arbeit hat, er untersteht direkt dem Kapitän (siehe Foto unten).
Abends wird auf Spanisch Bingo gespielt. Normalerweise halte ich mich von solchen Unterhaltungsversuchen fern. Doch hier ist eine Gelegenheit spanische Zahlen zu lernen! Veintitrés, cinquenta y cinco, ochenta y nueve – die Zahlen prasseln nur so auf mich ein. Meiner Konzentration wird alles abverlangt und dennoch verpasse ich wohl ein paar Zahlen. Ich gewinne also nichts – außer einer mit vier Euro Einsatz günstigen Sprachlektion. Und auch die anderen Mitspieler haben viel Spaß mit il alemano, der gelegentlich mit seinem gerade gelernten „más despacio“ um Nachsicht bittet.
Der Pool leert sich langsam. Eine spanische Mutter wird von ihrem etwa 6-jährigen Sohn vorgeführt, der sich trotz ihrer lautstarken Ermahnungen strikt weigert, das Wasser zu verlassen. Sie kreist hilflos um das Becken, während der Junge sie hemmungslos ignoriert. Das geht so eine halbe Stunde und sorgt bei den Zuschauern teils für Belustigung, teils für Kopfschütteln. Unnötig zu erwähnen, dass dieser Fratz kaum, dass er endlich rauskommt und von ihr unter wüsten Beschimpfungen trocken gerubbelt wird, wieder ins Wasser springt.
Kiko und Louis, zwei Kubaner, die auf Teneriffa leben, bringen gerade zwei Autos auf die Insel. Sie treffen andere Kubaner und bilden eine fröhliche Runde, die zuerst auf dem Pooldeck und später in der Diskothek erahnen lassen, wie lautstark auf kubanisch gefeiert wird. Kiko spricht ganz gut deutsch und ich erfahre, dass er als Schweißer am neuen Siampark mitgebaut hat und nun gespannt ist, welche Aufgabe als nächstes auf ihn wartet. Wir tauschen Nummern aus und nehmen uns ein Besuchsversprechen ab.
Am morgen hält es mich nicht lange in der Koje. Neugierig, ob Teneriffa schon in Sicht ist, stehe ich um sieben auf und gehe zu den Bugfenstern. Noch ist nichts zu sehen, es ist diesig und bewölkt. Doch bald steigen graue Felsen aus dem Meer auf, zwischen Wasser und Wolken werden die Ausläufer des Anaga-Gebirges sichtbar. Wieder steigt Euphorie in mir auf. Und wie eine weitere Verlockung sehen wir kurz darauf an den wolkenverhangenen Bergen vorbei Santa Cruz de Tenerife strahlend in der Sonne liegen, gleich sind wir da. Nun aber schnell in die Kajüte Gepäck aufsammeln und das Moped beladen! Wieder erfasst Hektik alle Reisenden, dabei lachen die Gesichter bei letzten Smalltalks und Abschiedsworten.
Nun ist es soweit. Ich rolle die Rampe hinunter und auf die Insel. Der Zoll hält nicht auf und schon eine knappe Stunde später treffe ich bei Olbi und Undine ein. Was für ein großartiges Gefühl nach einer solchen wundervollen Reise das herzliche Willkommen dieser beiden liebenswerten Menschen zu empfangen! Ich bin angekommen.
Diese Hinreise habe ich genossen wie selten eine Reise zuvor. Es war meine längste Reise bisher überhaupt, über 4000 Kilometer. Dass ich die Strecke schon dreimal geflogen bin, zählt nicht. Es hat sich bestätigt, dass es etwas völlig anderes ist, sechs Tage zu einem Ziel unterwegs zu sein. Ich habe die Entfernung im wahrsten Sinne des Wortes "erfahren". Und das wird ein bleibendes Erlebnis bleiben.
Bevor es auf den folgenden Seiten an die Rückreise geht, folgt als Intermezzo ein Bericht vom II. Biker Weekend Canarias Julio 2008 Tenerife ...
Was tut man während der 32-stündigen Fährzeit?
Erste Antwort: Nichts! Und das ist gut so. Es gehört zu den Besonderheiten der Situation Schiff, dass der Reisende zum Nichtstun verurteilt ist. Egal, was auf der Reise alles getan und gemanaged werden musste – mit der Ankunft im Hafen ist Schluss mit der Eigenaktivität. Von nun an ist man in den Händen des Kapitäns und seiner Crew. Und dieser Situation sollte man sich hingeben.
Zweite Antwort: Reden, wenn man Lust dazu hat. Ist man neugierig genug auf Leute und Geschichten, gibt es eine Menge auf dem Schiff zu erleben. Und schnell werden aus der zunächst anonymen Masse der Passagiere lauter unterschiedliche Individuen.
8 Stunden warten auf die Fähre am Hafenkai kann unterhaltsam sein. Ich bocke mein Moped auf den Hauptständer, lasse mich gemütlich auf den Sitz nieder und harre geduldig der Dinge, die da kommen mögen. Zunächst sind da die anderen Reisenden, die nach und nach eintrudeln. Alle treiben die gleichen Fragen um. Wann kommt die Fähre, wann ist Boarding, stehen wir hier richtig? Ein Spanier mit einer FJ1200 hält neben mir. Nach dem Austausch der wichtigsten Informationen („Nein, die Fähre kommt später. Ja, hier stehen wir richtig.“) erzählen wir von unseren jeweiligen Touren. Er ist mit Freunden durch Frankreich und Italien gefahren. Nun geht’s für ihn zurück nach Hause auf Teneriffa, wo er im Computergeschäft ist. Ihm ist die Warterei aber zu langweilig, er trabt mit einem anderen zum nahe gelegenen Strand.
Schon kommt der nächste Biker an. Ist nicht zu überhören, die Pipes seiner Harley sorgen für die gebührende Aufmerksamkeit. Er sieht mein Nummernschild und quatscht mich gleich an. Ansgar aus dem nördlichen Ruhrgebiet hat sich sein Moped gerade in Deutschland abgeholt und betreibt eine Rockbar, das „Underground“ in El Medano. Wir merken schnell, dass wir beide nicht nur deutsch, sondern auch die gleiche Sprache sprechen, und freunden uns bei ein paar Bierchen an.
Die vor uns am Kai festliegende spanische Marinefregatte sorgt für weiteren Gesprächsstoff. Unglaublich, wie viele Matrosen, darunter offensichtlich frische Kadetten, an Bord gehen. Das Ablegemanöver gerät zur Peinlichkeit, über die wir fröhlich herziehen. An sich sind militärisch gedrillte Mannschaften ja eine gut geölte Maschine. Aber wehe, wenn da ein unvorhergesehenes Problem auftaucht. Hier ist es die Gangway, mit deren Ablegen man sich sehr unterhaltsam schwer tut. Der erste Versuch mit einem einfachen Seil am Tragarm misslingt trotz 30 bis 40 ziehenden Matrosen kläglich. Nach einer Weile wird ein Flaschenzug geholt. Mit dem wird die schwere Gangway zwar ein Stück angehoben, steckt jedoch gleich wieder fest, weil man versäumt hat, eine Seilverdrehung im Flaschenzug vorher zu entfernen. Also alles wieder ab. 20 Minuten später gelingt zwar nun ein weiteres Stück des Abseilens. Wie jedoch von Ansgar und mir schon vorher fachmännisch vermutet, hängt die Gangway nun an der Bordwand an einem vergessenen Netz erneut fest. Wir gackern fröhlich und leeren die nächste Bierdose auf die verzweifelnde Marine.
Nachdem die Fregatte endlich abgelegt hat, kommt gegen 21 Uhr tatsächlich unsere Fähre um die Ecke. Ein erhebender Anblick! Sofort entsteht Bewegung unter den Wartenden, alles scharrt nun mit den Hufen. Doch Geduld, die Fähre muss erstmal zwei Stunden entladen werden.
Ich komme mit einem weiteren Paar ins Gespräch, das anhand meines Nummernschildes feststellt, dass wir aus der gleichen Gegend kommen. Die beiden sind nach La Palma unterwegs und waren schon öfter auf der Fähre. Einmal jedoch haben die beiden den Törn schon auf nem Segler gemacht. Muss aufregend gewesen sein.
Unglaublich, wie nach langer Warterei sofort Hektik entsteht beim Auffahren auf die Fähre und Einnehmen von Parkplatz und Kajüte. Doch das ist schnell erledigt und es entsteht wieder Muße beim ersten Wandern durch’s Schiff. Man kann schnell sehen, wer schon öfter die Fähre genutzt hat (gleich entspannt ins Lieblingseck setzen) und wer wie ich zum ersten Mal drauf ist, weil letztere Gruppe erst mal alles genau in Augenschein nimmt. In der Heckbar treffe ich Ansgar wieder, der ein Pärchen aus Niedersachsen am Tisch hat. Wir erfahren, dass die beiden nach Gran Canaria und da bleiben wollen. Goldkettchen und ein paar Andeutungen lassen erkennen, dass die beiden sich wohl mit der lokalen „Unterhaltungsbranche“ werden arrangieren müssen, wenn sie ihre noch etwas unausgereiften Pläne – noch dazu ohne Spanischkenntnisse realisieren wollen. Wie auch immer, Erfahrungen sind nun mal durch nichts zu ersetzen.
Wir verleben nichtsdestotrotz einen fröhlichen Abend bei Bier und für die anderen drei auch härteren Stoffen. Das wird jedoch einen Beteiligten – verbunden mit einer gehörigen Portion Seekrankheit – für den folgenden Tag außer Gefecht setzen. Und dieser eine war nicht ich :-)
To be continued ...
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